Pensée Nr.813 Nie tut man Böses so vollkommen und so freudig, als wenn es im Einklang mit seinem Gewissen tut. "Pensées - Nummerierung Lafuma"
Gespräch mit Herrn de Saci über Epiktet und Montaigne Teil I Damals übersiedelte auch Herr Pascal nach Port-Royal-des-Champs. Ich halte mich nicht mit der Beschreibung auf, wer dieser Mann war, den nicht allein ganz Frankreich, sondern ganz Europa bewundert hat. Sein stets lebhafter und reger Geist hatte eine Weite, Höhe, Stärke, Schärfe und Klarheit, die über das hinausgingen, was man für möglich halten kann. Alle in der Mathematik gebildeten Männer mußten seine Überlegenheit anerkennen: Das bezeugt die berühmte Geschichte der Radkurve, die damals der Gesprächsstoff aller Gelehrten war. Man weiß, daß er das Kupfer zu beseelen und dem Erz einen Geist einzuhauchen schien. Er bewirkte, daß kleine vernunftlose Räder, die alle die zehn ersten Zahlen trugen, den Vernünftigsten eine vernünftige Antwort gaben, und gewissermaßen ließ er stumme Maschinen sprechen, um spielend die bei den Zahlen vorhandenen Schwierigkeiten zu lösen, die selbst die Gelehrtesten aufgehalten hatten: Dies kostete ihn so viel Fleiß und geistige Mühe, daß er, um jene Maschine, die ich mit eigenen Augen gesehen habe, in der von allen bewunderten Form vernünftig zusammenzusetzen, mehr als drei Jahre seine Vernunft überanstrengte. Als dieser bewundernswerte Mann schließlich von Gott angerührt wurde, unterwarf er diesen un sagbar erhabenen Geist dem sanften Joch Jesu Christi, und dieses überaus edle und große Herz widmete sich demütig der Buße. Er kam nach Paris und warf sich Herrn Singlin in die Arme, entschlossen, alles zu tun, was dieser ihm auftragen würde. Als Herr Singlin dieses große Genie kennenlernte, glaubte er, es sei angebracht, daß er ihn nach Port-Royal-des-Champs schickte, wo Herr Arnauld es mit ihm bei den höheren Wissenschaften aufnehmen und Herr de Saci ihn lehren würde, sie zu verachten. So übersiedelte er denn nach Port-Royal. Herr de Saci konnte es aus Höflichkeit nicht ausschlagen, ihn zu besuchen, vor allem, weil Herr Singlin ihn darum gebeten hatte; doch die heiligen Erleuchtungen, die er in der Schrift und bei den Kirchenvätern entdeckte, ließen ihn hoffen, daß alle glänzenden Eigenschaften Herrn Pascals ihn nicht verblenden würden, obwohl jeder von ihnen begeistert und entzückt war. Tatsächlich beurteilte er alles, was Herr Pascal sagte, als sehr zutreffend. Mit Freuden erkannte er an, welche Kraft dessen Geist und dessen Äußerungen hatten. Aber in ihnen fand sich nichts Neues: Alles, was ihm Herr Pascal an Großem sagte, hatte er vor diesem bei Augustinus entdeckt; und er ließ allen Gerechtigkeit widerfahren, indem er erklärte: »Herr Pascal verdient höchste Achtung, weil er, obwohl er die Kirchenväter nicht gelesen hat, aus eigener Kraft durch seine Geistesschärfe dieselben Wahrheiten wie sie gefunden hatte. Wie Herr Pascal sagte, habe er sie für eine überraschende Entdeckung gehalten, weil er sie bei keinem anderen gefunden hätte; was aber uns betrifft, so sind wir daran gewöhnt, sie überall in unseren Büchern zu finden.« Da dieser kluge Geistliche also erkannte, daß die Alten nicht weniger Einsicht als die Modernen hatten, ließ er es dabei bewenden und schätzte Herrn Pascal sehr, weil dieser bei allem mit Augustinus übereinstimmte.
"Gespräch mit Herrn de Saci über Epiktet und Montaigne"
Gespräch mit Herrn de Saci über Epiktet und Montaigne Teil II Herr de Saci verfuhr gewöhnlich so, wenn er sich unterhielt, daß er seine Gespräche jenen anpaßte, zu denen er redete. Wenn er zum Beispiel Herrn Champaigne traf, unterhielt er sich mit ihm über Malerei. Wenn er Herrn Hamon traf, redete er mit ihm über Medizin. Wenn er den Wundarzt des Ortes traf, stellte er ihm Fragen über die Wundarzneikunst. Wer Wein, Obst oder Getreide anbaute, erklärte ihm alles, was man dabei beachten muß. Alles diente ihm als Mittel, um sogleich zu Gott überzugehen und auch die anderen zu ihm zu führen. Er glaubte also, er müsse auch Herrn Pascal auf das Thema bringen, das ihm vertraut war, und zu ihm über die philosophischen Schriften sprechen, mit denen er sich am meisten beschäftigte. Bei ihren ersten gemeinsamen Gesprächen brachte er ihn nun auf dieses Thema. Herr Pascal sagte ihm, die Autoren, die er am regelmäßigsten gelesen habe, seien Epiktet und Montaigne, und er sprach sich ihm gegenüber sehr lobend über diese beiden großen Geister aus. Herr de Saci, der stets die Auffassung vertreten hatte, er solle diese Autoren wenig lesen, bat Herrn Pascal, ihn eingehend über sie zu unterrichten. »Epiktet«, sagte er ihm, »ist einer von jenen Philosophen, die am besten in der ganzen Welt die Pflichten des Menschen erkannt haben. Der Mensch soll Gott als sein Hauptziel ansehen, das vor allem will Epiktet; der Mensch soll überzeugt sein, daß Gott alles gerecht leitet; der Mensch soll sich Gott von ganzem Herzen unterwerfen und ihm freiwillig in allem folgen, da er alles mit sehr großer Weisheit vollbringt: Diese Gemütsverfassung werde folglich alle Klagen und Beschwerden verstummen lassen und den Geist des Menschen vorbereiten, alle, auch die widerwärtigsten, Ereignisse ruhig zu ertragen. ›Sagt niemals‹, erklärt er, ›ich habe dies oder jenes verloren, sagt vielmehr, ich habe es zurückgegeben. Mein Sohn ist tot, ich habe ihn zurückgegeben. Meine Frau ist tot, ich habe sie zurückgegeben. Ebenso bei den Gütern und allem übrigen. - Wer es mir nimmt, ist aber ein schlechter Mensch, sagt ihr. Worüber bekümmert ihr euch, wenn jener, der es euch geliehen hat, es von euch zurückfordert? Solange er erlaubt, daß ihr euch dessen bedient, behandelt es mit solcher Sorgfalt wie ein Gut, das einem anderen gehört, gleich einem Reisenden, der sich in einem Gasthof seiner Lage bewußt ist. Ihr dürft nicht wünschen‹, sagt er, ›daß solche Dinge, die geschehen, so geschehen, wie ihr es wollt; vielmehr müßt ihr wollen, daß sie so geschehen, wie sie geschehen. Besinnt euch‹, sagt er an einer anderen Stelle, ›daß ihr hier einem Schauspieler gleicht und daß ihr in einer Komödie jene Rolle spielt, die euch der Herr nach seinem Belieben zuweist. Gibt er euch eine kurze Rolle, so spielt sie kurz; gibt er euch eine lange Rolle, so spielt sie lang; will er, daß ihr wie ein Bettler auftretet, dann müßt ihr es so natürlich tun, wie es euch irgend möglich ist; ebenso bei allem übrigen. Eure Sache ist es, die euch zugewiesene Rolle gut zu spielen; doch sie auszuwählen ist die Sache eines anderen. Alle Tage sollt ihr den Tod und die am unerträglichsten scheinenden Übel vor Augen haben, und dann werdet ihr nie etwas Niedriges denken und nichts im Übermaß begehren.‹ Er zeigt auch tausendfach, was der Mensch tun soll. Er soll demütig sein, seine guten Vorsätze verbergen, dies vor allem in der ersten Zeit, und sie in aller Stille ausführen: Nichts richte sie mehr zugrunde, als wenn man sie an die Öffentlichkeit bringe. Unermüdlich wiederholt er, daß alles Streben und Verlangen des Menschen darin bestehen müsse, Gottes Willen zu erkennen und ihm zu gehorchen. Das, Monsieur«, sagte Herr Pascal zu Herrn de Saci, »sind die Einsichten dieses großen Geistes, der die Pflichten des Menschen so gut erkannt hat. Ich wage die Behauptung, daß er es verdiente, angebetet zu werden, wenn er ebensogut dessen Ohnmacht erkannt hätte, weil man ja Gott sein müßte, um die Menschen das eine und das andere zu lehren. Da er indes Staub und Asche war, verliert er sich, nachdem er so genau verstanden hat, was man muß, folgendermaßen in dünkelhaften Annahmen über das, was man kann.
"Gespräch mit Herrn de Saci über Epiktet und Montaigne"
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